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Jason Siff: In der Meditation an Beziehungen arbeiten

In Meditation zu sitzen, still und nach innen gerichtet zu sein, ist eine isolierende Aktivität. Aber sie bringt Sie in Kontakt mit anderen, wenn diese in Ihren Gedanken auftauchen. Ihre Freunde, Arbeitskollegen, Schülerinnen und Partnerinnen oder Angehörigen gelangen in Ihre Meditationssitzung als Menschen, über die Sie nachdenken oder mit denen Sie imaginäre (oder erinnerte) Gespräche führen oder deren Präsenz Sie als physische oder emotionale Erinnerung an das Zusammensein wahrnehmen. 

 

Ehrlichkeit hilft, tiefer zu verstehen

Falls Sie in der Meditation innerlich an Ihren Beziehungen arbeiten, werden Sie dies vielleicht als einseitig empfinden, weil Sie den „Input“ der realen Person vermissen. Aber diese Arbeit von Ihrer Seite der Beziehung aus kann auch tiefer gehen und ehrlicher sein, weil Sie sie ungestört für sich allein tun. Sie können dann innerlich länger bei einer Situation (oder Angelegenheit) verweilen, vielleicht die verschiedenen Schichten abtragen und die Verstrickungen Ihrer komplexen inneren Welt auf eine Weise erforschen, wie es nicht möglich wäre, wenn Sie sich mit jemandem darüber unterhalten würden. 

Dennoch werden Sie mit anderen über bestimmte Dinge reden müssen, denn Meditation kann nicht alles für Sie durcharbeiten. Meditation, wie ich sie in dem Buch Die Gedanken sind nicht der Feind beschreibe, wird Ihnen helfen, mit zwischenmenschlichen Angelegenheiten zu sitzen und sie anzuschauen, aber sie wird sie nicht für Sie lösen oder „in Ordnung bringen“. Das müssen Sie schon gemeinsam mit den Menschen tun, um die es geht. So wie Ehrlichkeit gegenüber sich selbst Ihnen hilft, tiefer zu verstehen, was tatsächlich in Ihnen vorgeht, so hilft Ihnen auch Ehrlichkeit gegenüber anderen, tiefer zu verstehen, was tatsächlich zwischen Ihnen und anderen Menschen vor sich geht. 

Viele Meditierende bezweifeln vielleicht, dass es einen Wert hat, mit anderen über ein Problem zu sprechen, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass sie in der Meditation bestimmte Dinge spontan loslassen konnten. Manche mögen gar zu der Überzeugung gelangen, dass diese Probleme, da sie ja verschwunden sind, nie wirklich Substanz hatten – dass sie irgendwie gar nicht real waren. Was für ein Schock, wenn dann irgendjemand anders ein Thema anspricht, das Sie für erledigt oder nicht wirklich existent hielten! Wenn das geschieht, stellt sich die Frage, ob Sie darauf vorbereitet sind, das Thema mit der anderen Person durchzuarbeiten – oder ob es etwas ist, worüber Sie hinausgewachsen sind oder das Sie tatsächlich hinter sich gelassen haben. 

 

Einen Mittelweg zwischen den Extremen finden

Andere wählen vielleicht den entgegengesetzten Weg, weil sie das Gefühl haben, dass alles, was sie in der Meditation erlebt haben, mit einem anderen Menschen geteilt werden muss, sodass er oder sie ganz verstanden werden kann. Solche Entdeckungen können dann zu Bekenntnissen führen, zu neuen oder „verbesserten“ Narrativen und zu konfrontierenden Verhaltensweisen, die nicht funktioniert haben. Nimmt man ernst, was man in der Meditation über sich selbst erfährt, und betrachtet es nicht nur als vorübergehende Phänomene, kann das dazu führen, dass man sich tatsächlich mit bestimmten Dingen in Bezug auf sich selbst konfrontieren muss. Aber Sie müssen anderen nicht alles erzählen, was Sie über sich herausfinden – Sie können alles, was Sie nicht sagen möchten, für sich behalten und nur über die Dinge sprechen, über die Sie sprechen wollen. 

Wir sprechen hier von einem Mittelweg, einem, der zwischen den Extremen einer totalen Selbstentblößung und der stillen Überzeugung liegt, dass alles erledigt und begraben ist. Ich selbst tendiere im Zweifelsfall zur Stille wie wahrscheinlich die meisten Meditierenden. Die Meditation, bei der es so viel um innere Ruhe und Frieden geht, übt oft gerade auf diejenigen eine Anziehungskraft aus, die auch in ihren Beziehungen eher Ruhe und Frieden bevorzugen. 

Meditation zieht auch Menschen an, die für sich allein an sich arbeiten möchten, eine Do-it-yourself-Methode für psychisches Wohlergehen, und so zieht ein ziemlich großer Teil der Praktizierenden alles andere vor, als darüber zu sprechen, was sie denken und fühlen. Wir müssen also Möglichkeiten finden, uns dem Mittelweg zu nähern, das heißt, Wege finden, ehrliche Gespräche mit anderen darüber zu führen, was in unseren Beziehungen wichtig ist. Eine Möglichkeit, damit anzufangen, ist, ehrlich darüber zu berichten, was in Ihren Meditationssitzungen passiert. 

 

Über Meditationssitzungen sprechen

Irgendwann begann ich den Leuten die Möglichkeit zu geben, in der Gruppe von ihren Meditationssitzungen zu berichten. Bei einem Einzelgespräch sprechen die Meditationsschüler über ihre Meditationssitzung und der Lehrer stellt Fragen und gibt Anleitungen. Das Berichten in der Gruppe ist im Prinzip ein Einzelgespräch, das innerhalb der Gruppe stattfindet. Achten Sie darauf, inwieweit es für Sie in Ordnung ist, persönliche Details aus Ihren Sitzungen zu berichten. Es ist immer Ihre persönliche Entscheidung, wie weit Sie gehen wollen, das heißt, welche Einzelheiten Sie mit den anderen teilen und welche Sie für sich behalten möchten.

 

Dieser Artikel stammt aus dem Buch Die Gedanken sind nicht der Feind von Jason Siff. Wir danken dem Arbor Verlag für die Abdruckgenehmigung.