Direkt zum Inhalt
Christopher Willard: Weniger Erziehung ist mehr
Verzicht fördern – Nekkhamma

„Tu alles mit einer inneren Haltung des Loslassens. Akzeptiere weder Ruhm noch Gewinn noch irgendetwas anderes. Wenn du ein bisschen loslässt, wirst du ein bisschen inneren Frieden haben, wenn du viel loslässt, wirst du viel Frieden haben, wenn du vollkommen loslässt, wirst du vollkommenen Frieden haben.“
Buddhistisches Sprichwort

 

Die ersten Worte meines Sohnes waren „Danke schön“, was uns darin bestätigte, dass wir die Eltern des Jahrhunderts waren. Sein nächster Satz lautete allerdings: „Ich will das“, bald gefolgt von „Ich will das nicht“, was gewöhnlich mit ohrenbetäubendem Geschrei einherging. Wir erkannten rasch, dass wir letztendlich doch ein menschliches Wesen mit Wünschen und Abneigungen auf die Welt gebracht hatten. Ob Baby oder Erwachsener: Wir alle wollen, was wir wollen, bekommen, wann wir es wollen. Und in unserer heutigen Gesellschaft können viele von uns die Dinge, die sie wollen, bekommen, wann sie sie wollen. Das führt dazu, dass wir in materiellen Dingen schwimmen, aber das macht uns kaum glücklicher.

 

Wir haben immer mehr Wahlmöglichkeiten

Obwohl Familien heute kleiner sind, haben wir größere Häuser, wir fahren größere Autos und unsere Kinder besitzen mehr Spielzeug als alle Generationen zuvor. Mit der Zunahme billiger Arbeitskraft ist fast alles billiger geworden, von Spielsachen bis hin zu Kleidung und mehr. Durch einen Klick auf einen Button können wir fast alles, was wir uns wünschen, bis vor die Haustür liefern lassen – manchmal sogar schon per Drohne. Trotz ihrer riesigen Häuser geben Amerikaner heute Millionen für Lagerraum aus. Neue Technologien bieten uns unmittelbaren Zugang zu Unterhaltung, wo immer wir uns aufhalten, und die Entwicklungen in der Landwirtschaft bescheren uns eine Menge billigere Nahrung, die allerdings oft weniger nährstoffreich ist. Konkret und im übertragenen Sinne baden wir in leeren Kalorien.

Diese völlige „Wahlfreiheit“ im Hinblick auf alles – von der Zahnpasta bis hin zum Erziehungsstil – lässt uns allerdings gestresster, einsamer, unglücklicher und unmotivierter zurück. Im Oktober 1998 verkündete die Satirezeitschrift The Onion: „Die Vielfalt an Konsumgütern übersteigt inzwischen die Artenvielfalt“, und mokierte sich damit sowohl über die in unserer Gesellschaft herrschende Rücksichtslosigkeit gegenüber der Umwelt als auch über unser Konsumverhalten. Während wir in der westlichen Welt als Konsumenten immer mehr Wahlmöglichkeiten haben, nimmt unsere Zufriedenheit ab. Tatsächlich sind die westlichen Nationen führend in der Prävalenz von Depressionen, Angststörungen und psychischen Erkrankungen in allen Altersstufen.

 

All das tun wir aus Liebe

Mönche, Nonnen und Geistliche unterschiedlicher Traditionen legen ein Armutsgelübde ab und verzichten damit auf die Annehmlichkeiten dieses Lebens. Ich schlage Ihnen nun nicht vor, alles wegzuwerfen, was Sie besitzen, damit Ihre Familie glücklicher wird – selbst der Buddha fand einen Mittelweg zwischen dem Verzicht auf seinen ererbten Reichtum und dem harten Leben eines asketischen Wandermönchs. Aber „frischgebackene“ Eltern leisten oft Verzicht und bringen ganz ohne Gelübde Opfer. Denken Sie einmal daran, was Sie als Mutter oder Vater alles aufgeben mussten: Bequemlichkeit, Schlaf, Raum, Zeit, Geld, Karriere, Fortkommen, Intimität mit Ihrem Partner und mehr. Wenn wir Eltern werden, lassen wir recht schnell unsere Träume von weißen Polstermöbeln oder einem spontanen Städtetrip am verlängerten Wochenende los.

Oft geben wir auch unsere sportlichen Aktivitäten auf und verzichten auf ausgedehnte, gemütliche Mahlzeiten. Und Mütter geben die Vorstellung auf, dass ihr Körper ihnen allein gehört. Außerdem lassen wir jegliche Hoffnung fahren, cool zu sein – die Rockkonzerte abends unter der Woche genauso wie die Vorstellung, beim Wechseln der Windel eines schreienden Babys in der Öffentlichkeit eine einigermaßen würdevolle Figur abgeben zu können. Wir opfern physischen und psychischen Raum und oftmals unsere psychische Gesundheit. Denken Sie einmal darüber nach: Von nun an sind wir für den Rest unseres Lebens Tag für Tag vorrangig mit einem einzigen Wesen beschäftigt. Und dennoch tun wir all das aus Liebe.

 

Vereinfachung, Loslassen, Raum schaffen

Das Wort Verzicht mag hart klingen. Deshalb bevorzuge ich die Begriffe Vereinfachung, Loslassen oder sogar Raum schaffen. Als meine Frau schwanger war, machten wir uns oft Sorgen darüber, was wir alles verlieren würden, bis mein Freund Harris uns darauf aufmerksam machte, dass ich ja nicht „für nichts“ auf mein Motorrad oder den Urlaub auf Borneo verzichtete. „Es ist ja nicht so, dass du nichts bekommst für das, was du aufgibst“, erinnerte er uns. Wir tauschen also ein paar vertraute Vergnügungen gegen etwas Bedeutungsvolleres und Tieferes ein. Wir tauschen die Freuden der „Freiheit“ gegen die Freuden der Verbundenheit, die Freuden der Unabhängigkeit gegen ein gegenseitiges Geben und Nehmen ein.

 

Dieser Artikel stammt aus dem Buch Achtsam und stark fürs Leben von Christopher Willard.
Wir danken dem Arbor Verlag für die Abdruckgenehmigung. 
 

Angebote

Achtsamkeit mit Kindern und Jugendlichen

Unbegrenzter Zugang zum Kongress mit dem Premiumpaket!

Online-Weiterbildung 2025

Online, Januar – Juli 2025