Überall gibt es „Unvollkommenheiten“. Dazu gehören zum Beispiel: Unordnung, schmutzige Kleidung, Unkraut, Verkehrsstaus, ein verregnetes Picknick, Weinflecken auf dem Teppich, Verletzungen, Krankheit, Behinderung, Schmerzen, Probleme, ungelöste Fragen, Begrenzungen, Verluste – das schließt auch die vielen Probleme in menschlichen Beziehungen mit ein. Unvollkommenheiten sind auch Dinge, die beschädigt, verschlissen oder zerbrochen sind. Fehler, falsche Entscheidungen, Verwirrung, Mangel an Klarheit, Krieg, Hunger, Armut, Unterdrückung, Ungerechtigkeit. Kurz gesagt, bedeutet Unvollkommenheit – so, wie ich hier darüber spreche – eine Abweichung von einem angemessenen Ideal oder Standard (wie Hundekot am Schuh nicht ideal ist und auch nicht, dass jeder sechste Mensch auf der Welt hungert).
Jede Abweichung von einem Ideal hat Folgen und es ist angemessen, etwas dagegen zu tun. Aber dabei belassen wir es oft nicht: Wir reagieren mit Angst, in Form von Unbehagen, Leiden, Nervosität, Beunruhigung oder Stress, auf die Unvollkommenheit selbst, statt sie als einen normalen, unvermeidlichen und weitverbreiteten Aspekt des Lebens zu sehen.
Keine Urteile, Widerstände oder Sorgen
Statt mit den Bedingungen umzugehen, so wie sie sind – Unkraut, Verletzungen, Konflikte mit anderen – und einfach auf sie zu reagieren, verfangen wir uns in Sorgen darüber, was sie bedeuten und werden mürrisch, fühlen uns als Verlierer, werden rechthaberisch und verurteilend, beschuldigen uns selbst und andere und sind enttäuscht, fühlen uns als Opfer, gar falsch behandelt oder betrogen.
Diese Reaktionen auf die Unvollkommenheit sind starke zweite Pfeile, wie ich sie im Artikel Schieß keine Pfeile beschrieben habe. Durch sie fühlst du dich viel schlechter, als es angemessen ist. Diese Reaktionen führen zu Problemen in deinen Beziehungen mit anderen und machen es schwieriger, der Situation entsprechend zu handeln. Lass die zerbrochene Tasse eine zerbrochene Tasse sein und füge keine Urteile, Widerstände, Schuldzuweisungen oder Sorgen hinzu.
So geht's
Unternimm angemessene Anstrengungen, um die Dinge zu verbessern, aber erkenne, dass es unmöglich ist, etwas zu vervollkommnen. Selbst die ausgefeilteste Technik kann keinen vollkommen flachen Tisch herstellen. Du kannst deine Persönlichkeit, Gedanken oder Verhaltensweisen einfach nicht vervollkommnen – das wäre so, als würdest du versuchen, Götterspeise zu polieren. Du kannst auch andere Menschen oder die Welt nicht vervollkommnen.
Öffne dich dieser Tatsache: Du kannst die Menschen, die du liebst, nicht vollkommen beschützen oder all deine Gesundheitsrisiken ausschalten oder Menschen davon abhalten, dumme Dinge zu tun. Dieses Öffnen fühlt sich vielleicht am Anfang bitter oder traurig an, aber dann spürst du wahrscheinlich eine Brise frischer Luft, eine Freiheit und ein Aufsteigen von Energie, um die Dinge zu tun, die du tun kannst – jetzt, da du nicht mehr durch Hoffnungslosigkeit behindert wirst, die du spürst, wenn du alles perfektionieren willst.
Nimm's leicht
Wir brauchen Standards und Ideale – vom Strafraum beim Fußball bis zu den großen Zielen der Weltreligionen –, aber wir müssen sie leicht nehmen. Ansonsten beginnen sie, in unserem Geist ein Eigenleben zu führen, wie kleine Tyrannen, die Befehle brüllen: „Du musst das tun, es ist schlecht, jenes zu tun.“ Achte auf Rechtfertigungen, auf selbstbezogenes moralisierendes Bestehen auf deiner eigenen Sicht, wie du, andere und die Welt sich verhalten sollten. Prüfe, ob du Tendenzen zum Perfektionismus hast – bei mir ist das so und ich muss sorgfältig darauf achten, sonst wird es schwierig, mit mir zusammenzuleben oder zusammenzuarbeiten, und ich bin auch innerlich unglücklich.
Könnte es jemals eine perfekte Rose oder ein perfektes Kind geben? In diesen Fällen ist die Angst vor Unvollkommenheit absurd – was auch für die Versuche zutrifft, deinen Körper, deine Karriere, deine Beziehungen, deine Familie, dein Unternehmen oder deine spirituelle Praxis zu perfektionieren. Nähre all diese Dinge, hilf ihnen, sich zu entfalten, aber gib die Versuche auf, sie vervollkommnen zu wollen.
Im Grunde sind alle Bedingungen vollkommen, so wie sie sind
Das Bett ist perfekt ungemacht, die Milch wurde perfekt verschüttet. Ich meine nicht, dass es in pragmatischem oder moralischem Sinne „vollkommen“ wäre – denn es wäre auch perfekt, ein Hemd zu zerreißen oder einen Krieg zu beginnen –, sondern dass alle Bedingungen zutiefst und im Grunde sie selbst sind. In diesem Sinne ist alles, was ist – von schmutzigen Windeln und den alltäglichen Problemen bis zu Krebs und Flugzeugabstürzen –, in diesem Moment das Ergebnis der vollkommenen Entfaltung des gesamten Universums.
Versuche, diese Entfaltung als einen umfassenden objektiven Prozess zu sehen, in dem unsere persönlichen Wünsche genauso viel Bedeutung haben, wie ein Schaumfleck für den Pazifischen Ozean. Im Lichte dessen sind Vollkommenheit und Unvollkommenheit keine bedeutungsvollen Unterscheidungen mehr. Es sind Dinge in sich selbst, ohne unsere Bezeichnung als gut oder schlecht, schön oder hässlich, perfekt oder nicht. Dann gibt es keine Angst vor Unvollkommenheit – was bleibt, ist Einfachheit, Direktheit, Begegnung – und Frieden.